Narben von Teresa Franz

Endlich zu Hause!

Sie schloss die Wohnungstür hinter sich, bevor der Kater ins Treppenhaus huschen konnte.

Sie kniete sich zu ihm herunter und er gungste sie freudig gegen die Schenkel. Gungsen – den Begriff hatte ein Freund vor ein paar Jahren geprägt und sie fand ihn sehr treffend – denn „stubsen“ war das schon nicht mehr! Mit welcher Kraft Katzen doch immer wieder ihren Kopf an Gegenstände und Menschen stießen fand sie immer wieder erstaunlich.

Sie hatte den Kater vor 2 Jahren aus dem Tierheim geholt. Es war Liebe auf den zweiten Blick. Während mehrere kleine Kätzchen damals um sie herumschwänzelten und miauten, erwähnte sie nochmals gegenüber der Tierpflegerin, dass sie gern eine ältere Katze hätte – eine, die nicht mehr so herumtobt und Unfug anstellte! „Da oben – der ist schon alt – ein Stubenkater“, sagte die Frau und zeigte auf eine kleine Höhle im Katzenbaum. Ein zerschundenes Gesicht mit einem halbblinden Auge blickte sie an.

„ Du musst warten, welches Tier DICH aussucht!“ hatte ihre Mutter geraten. „Sie spüren instinktiv ob ihr zusammen passt.“ Der Kater machte einen erschöpften Eindruck. Einige Narben durchzogen sein Fell, der Schwanz war gebrochen. Hatte er bei einem Straßenkampf oder durch menschliche Willkür sein rechtes Auge beinahe verloren? Nur einen Spalt weit konnte er es öffnen. Dass dieses Häufchen Elend aus seinem Schutz nicht heraus kommen wollte, verstand sie vollkommen. Sie hob langsam ihren Arm in Richtung Katzenhöhle und streckte ihm vorsichtig ihre Hand entgegen. Als er seinen Kopf an sie schmiegte und begann ihre Finger freundlich zu lecken, sagte sie: „Gut – das reicht mir als Bestätigung!“ Die Verbindung zwischen ihr und dem Tierchen war besiegelt!

Seit diesem Tag wohnte er bei ihr. Er machte keinen Blödsinn, war stubenrein und liebte es unter diverse Decken zu kriechen und dort den ganzen Tag zu schlafen. Aber immer, wenn sie nach Hause kam, kroch er irgendwo hervor und begrüßte sie mit einem dieser „Gungser“.

„Treue Seele!“ dachte sie.

Sie war müde.
Die Party war eigentlich schön gewesen.
Sie hatte IHN gesehen…

ER kam seit ein paar Monaten ab und zu abends zu ihr.
ER war so sexy!!!
Schon wenn sie seine Stimme an der Sprechanlage vernahm, wurde sie dermaßen … rollig …!
Jedes Mal nahm sie sich vor, mehr kokett zu sein – ihn zappeln zu lassen – damit er sie erobern konnte! Aber wenn er dann vor ihr stand – weitete sich ihr Becken und sie wollte nur noch ihre Beine um IHN schlingen. Ihre Knie wurden weich – ihre Stimme viel zu sanft …
Und viel zu schnell landeten sie jedes Mal im Bett – oder auf dem Sofa! …
Wenn er „fertig“ war, umarmte er sie zwar und gönnte ihr noch ein paar Minuten, zog sich dann aber an und fuhr wieder nach Hause – zu seiner Frau!
Und das war es, was sie doch irgendwie störte.

Es war doch jedes Mal das Selbe! Seltsamer Weise waren die Männer, die mit ihr ins Bett wollten, immer schon liiert! Seit ihrer Jugend hatte sie dieses Pech!
Sie wollte doch nie „die Andere“ sein, eine Hure, – eine, wegen der die Ehen kaputt gehen! Dass sowas nicht nur „nicht in Ordnung“ sondern auch Sünde ist, war ihr durchaus bewusst. Selbst wenn es gesellschaftlich inzwischen fast als „normal“ angesehen wurde, dass ein Mann fremd geht, sehnte sie sich, seit sie denken konnte, danach, die „Auserwählte Frau“ zu sein, nie aber die heimliche Geliebte.

Andererseits genoss sie die Freiheiten, die diese Affäre bot. Keine Rechtfertigungen oder Absprachen waren nötig, zum Beispiel wenn sie mal weggehen wollte oder spontan bei Freunden übernachtete.
Die Zeit mit IHM tat ihr gut – körperlich – und auch seelisch. Ihr Selbstbewusstsein bekam dann immer einen kleinen Schub. Und die Gewissheit, dass sie begehrenswert war, machte sie glücklich. Sie wollte das öfter genießen als nur einmal aller zwei drei Wochen!

Zu hoffen, dass ein Mann sich auf Dauer und öffentlich für sie entscheiden würde, hatte sie sich inzwischen verboten.
Seit Jahren war sie in allen Lebensbereichen immer nur „Ersatz“ für alles:  in den Jobs als Schwangerschaftsvertretung, privat bei Freunden als Babysitter – oder eben für Sex, wenn die Ehefrauen ihre Männer gerade „nicht ran ließen“ !

Und gerade in sexueller Hinsicht hatte sie dieses „Einspringen“ so satt, aber keine andere Wahl, wenn sie eben auch mal „zum Zuge kommen“ wollte.
Jedes Mal, wenn sie IHN wieder sah, klickte sich ihre Vernunft aus, wie ein Bergsteiger aus seiner Fixsicherung. Und genau wie beim Abseilen von einem Felsen waren dieses Hochgefühl, diese Leichtigkeit und die Freude, wenn sie mit IHM zusammen war – viel zu kurz.

Seit Tagen hatte sie auf seine Antwort auf ihre letzte Nachricht gewartet. Sie war hin und her gerissen – wollte IHN nicht nerven – doch das Verlangen nach IHM war wieder so stark.

Und heute auf der Party hatte ER sie nur höflich gegrüsst!
Das war wie ein Schlag ins Gesicht!
Sie war enttäuscht über ihre Verletzlichkeit!
„Ich hatte mich doch so gut im Griff !, dachte sie. „Reiss dich zusammen, sonst verlierst du ihn ganz!“, sagte sie sich und setzte ein überschwängliches Lächeln auf. Bis ihr klar wurde, dass sie mit diesem künstlichen Getue sich wieder einmal selbst quälte. Darauf hin verließ sie die Party – unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand.

„Endlich zu Hause!“

„Und was, wenn er sich mit seiner Frau wieder „versöhnt“ hat?! Gegen ihren Willen nahm diese Ahnung Raum ein in ihren Gedanken. Und dadurch wusste sie instinktiv, dass dem so war – und dass nun auch diese wunderschönen Zeiten mit IHM vorbei waren.

Verdammt!!! Scheiß Gefühle!

Wieso hatte sie nie so ein Glück wie andere Frauen?! Und die Frauen, die solch einen liebevollen UND sexuell reizvollen Mann hatten, schätzten das offenbar immer nicht !!! Erst wenn er fremdgeht! Welche Ironie!

Inzwischen lag sie in ihrem Bett.
Ohne IHN!
Letztendlich wie immer – ALLEIN!

Sie wurde wütend. Auf sich selbst. Auf ihr Herz, welches immer wieder empfindsamer und verletzlicher war, als sie es wollte! Auf Ihre Vernunft, die nie siegte, wenn es darauf ankam!

Wütend darauf, dass das Leben, Gott, das Schicksal … ihr immernoch nicht einen treuen, liebevollen Mann zur Seite stellte, auf den sie auch körperlich abfuhr! Sie hatte nun mal diese Triebe – und gleichzeitig das Bedürfnis nach Liebe und Sicherheit!
Umsonst.
Immer musste sie allein durchkämpfen!
Sie war das alles so leid!

Ihr Gesicht verzerrte sich in einem wutentbrannten, lautlosen Aufschrei.
Still lag sie da – und schrie schweigend ihre ganze Verzweiflung raus – in die Dunkelheit.
An den Schläfen rannen ihre Tränen herunter auf ihr Kopfkissen.
Nur das leise Seufzen beim Einatmen verriet, dass sie innerlich am Zerreißen war.
Minuten vergingen so.

„Ich hab dieses Leben so satt!“, brüllte sie still  – und erschrak plötzlich…
Der Kater hatte sich an ihre Wange fallen gelassen!
Er musste auf ihr Bett gesprungen und über sie hinweg geklettert sein.
Nun lag er wie selbstverständlich an ihrem Gesicht und schnurrte besänftigend.
Dieser kleine Kerl, der vom Leben so mitgenommen und von Narben gezeichnet war,  – er war immer noch so feinfühlig und bereit, ihr Trost zu spenden! …

Sie vergrub ihre Nase in sein sauberes, leicht süßlich riechendes Fell – und atmete tief aus.

Eine Welle von Dankbarkeit für dieses kleine Wesen überflutete sie.
Dankbarkeit für dieses Wunder, diese Form von Liebe … trotz aller Verwundungen.

Und ihr wurde bewusst, dass auch ihre neuen Wunden in ihrem Herz und ihrer Seele wieder verheilen würden –

irgendwie …

Teresa Franz

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